Teil 5: Politische und wirtschaftliche Etablierung von Social Media

VfGH, Lou Lorenz, ZIB, Wahlanfechtung, Twitter

2017 kann Österreich auf ein Vierteljahrhundert Nutzung von internetbasierten Netzwerken zurückblicken. Aus den ersten österreichischen Gehversuchen lassen sich schon die erfolgskritischen Themen für die Plattformen ableiten:>

  • Das Gewinnen von ständigen neuen Usern (auch um die bestehenden User zu halten),
  • die fortlaufend neuen und originären Content kreieren,
  • die wiederum neue User anziehen und ein skalierbares Geschäftsmodell ermöglichen. Hier hat sich gezeigt, dass Mitgliedschaften und Kooperationen (wie bei blackbox und auch Sankt Onlein) sich gegen Gratisplattformen nicht behaupten können; auch der Verkauf von Mobile Goods Abos (wie Klingeltöne, Spiele etc.) hat sich damals als nicht kostendeckend erwiesen.
  • Das Thema “Datenschutz” als Argument zählt für eine österreichische Plattform bei den Usern wenig. Der Nutzen, der durch die Offenheit einer Plattform erzielt wird, überwiegt.

Die historische Entwicklung von Social Media Plattformen insgesamt kann man in drei Phasen teilen, die an den in der Managementstrategie bekannten “Product Lifecycle” erinnert, der vor allem bei technologischen Entwicklungen vom Musikspeichermedium bis zur Spielkonsole sehr häufig zur Analyse verwendet wird.

1. Phase(Introduction Stage) ist bei den Social Media Plattformen geprägt von Gründungen und Wachstum innerhalb von Nationen bzw. Sprachgrenzen; das bedeutet viele verschiedenen Plattformen, die mit Features und Geschäftsmodellen experimentieren, aber keine dominierende Technologie.

2. Phase (Growth Stage)  ist geprägt von aggressivem Wachstum einiger Plattformen (Globalisierung) und ersten Marktteilnehmern, die auf der Strecke bleiben (z.B. Myspace, aber auch die vielen Plattformen, deren Wachstumsmöglichkeiten mit dem eigenen Sprachraum erschöpft war.)

3. Phase (Maturity Phase) sind nur noch wenige Player im Spiel, in Österreich sind das Facebook (mit Instagram), Twitter, YouTube und einige Special Interest-Plattformen. Diese versuchen, neue Märkte zu erobern oder, wie z.B. mit Hilfe von Facebooks Breitband-Internetinitiative “Internet.org”, neue Märkte wie Nordafrika oder Indien zu entwickeln um die Marktsättigung hinauszuzögern und den Product Lifecycle zu verlängern.

Allerdings kann keine pauschale Aussage für Social Media getroffen werden, denn verschiedene Plattformen befinden sich in verschiedenen Phasen.

Rückwirkend kann man folgende Lehren ziehen: In den 1990er und 2000er Jahren gab es in Europa und auch Österreich ernsthafte Bemühungen, Social Media Plattformen zu launchen. Gescheitert ist man an finanziellen Ressourcen (Sankt Onlein, soup.io), oder an zu wenig User Interesse, was zu einem Teufelskreis führte: Zu wenige User bedeuten wenig Interaktivität und wenig interessanten Content, das bedeutet wenig Interaktion, Verweildauer. Dadurch wiederum bieten sich auch zu wenig Möglichkeiten der Vermarktung bzw. Finanzierung.

→ Social Networks brauchen permanent neue Einflüsse, neue User/Menschen, Inhalte.
Die mangelnde Originalität und fehlende Perspektiven der Plattformen zu Zeiten eines sich international entwickelnden Marktes haben auch die Chancen auf internationale Investoren aufgrund der wenig innovativen Technologie ausbleiben lassen.
→ Ein Nebenaspekt mag auch das Thema Datenschutz in Österreich (und der D-A-CH- Region) sein.Sowohl StudiVZ als auch SanktOnlein.at oder uboot.at (2011) haben sich stark auf Datenschutz und Privatsphäre-Einstellungen fokussiert. Dies mag lobenswert sein und wird natürlich von Datenschützern und Aktivisten stark eingefordert – dennoch überwiegt für die User der Nutzen einer möglichst großen und offenen Plattform. Ein interessanter Widerspruch.

→ Medienunternehmen gelang es nicht, eigene Netzwerke zu etablieren.Manche hatten hinsichtlich User Experience und Reichweitenstrategie wenig Chance (atv.at) gegen Facebook, auch waren sie als Medienbetreiber möglicherweise zu sehr auf ihren eigenen Content fokussiert um genug medienadäquate Inhalte für eine große Zielgruppe und damit auch genug User für ein sich ständig erweitertendes Netzwerk zu haben. Der ORF durfte aus gesetzlichen Gründen nicht; sah aber auch 2010 noch nicht das Potenzial von Social Media und tauschte die Möglichkeit, dort agieren zu dürfen, gegen das Recht auf mehr Einnahmen durch Onlinewerbung ein. 2010, zum Zeitpunkt der Einführung des “ORF-Social Media Verbots” (welches 2014 aufgehoben wurde), wäre der Zeitpunkt für einen guten Markteinstieg aber bereits zu spät gewesen; Facebook war bereits in Europa größte Social Media Plattform.

→ Facebook setzte sich innerhalb weniger Jahre mit einer überlegenen Strategie hinsichtlich Growth, aber auch mit einer überlegenen Technologie als somit optimales Produkt durch.

Etablierung durch Themensetzung im gesellschaftlichen Diskurs

Keines der frühen Netzwerke schaffte es aber wirklich über seine Community hinaus langfristig Relevanz zu erlangen,in dieser Hinsicht war vielleicht die Blackbox als Geburtsort der “Wicki, Slime und Paiper”-Bewegung, die über die klassischen Medien ganz Österreich erfasste, noch am erfolgreichsten.

Mit dem Siegeszug von Facebook, YouTube und der medialen Präsenz von Twitter ändert sich das.

Der Einfluss der US-Präsidentschaftwahlkämpfe wurde ab 2008 bzw. 2009 auch in Österreich spürbar. ATV begann 2008 erstmals, via YouTube Userfragen für das ATV Meine Wahl Format zur Nationalratswahl 2008 einzubinden. FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache startete 2009 mit seinem Facebook-Auftritt, der sofort von den Medien als Themenpool gesehen wurde (APA-OTS, 21. Februar 2008).

2009 verkündete Bundespräsident Heinz Fischer auf YouTube, dass er 2010 wieder als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten zur Wahl steht.Das Video wurde selbstverständlich von allen Medien zitiert, verwendet oder es wurde auf den Videokanal von Heinz Fischer auf YouTube hingewiesen (VIDEO/Youtube, 2009).

Im Bundespräsidentschaftswahlkampf 2016 spielte Social Media, auch aufgrund der ungewöhnlichen Länge des Wahlkampfs, eine große Rolle, da die Kandidaten nicht mehr die finanziellen Kapazitäten für weitere Plakatrunden hatten. Das “Videostatement von Gertrude”, ein Aufruf einer 89-jährigen Pensionistin, wählen zu gehen und einen Rechtsruck zu verhindern, erreichte auf Facebook 3.71 Millionen views (youtube 2016).

Und wie weiter oben dargelegt: Selbst der Verfassungsgerichtshof kommunizierte zum Prozess der Wahlanfechtung der Stichwahl zur Bundespräsidentschaftswahl 2016 über Twitter und gab schließlich die Entscheidung bekannt, dass die Wahl bundesweit wiederholt werden muss.

Big Data versus Datenschutz

“If it’s free, you are the product“ heißt ein Bonmot, das das Geschäftsmodell von Social Media Plattformen beschreiben soll. Des Users Aufmerksamkeit, Zeit und Daten werden von den Plattformbetreibern an Werbekunden vermarktet. Im selben Atemzug kommt meist das Thema “Big Data“ zur Sprache, also die große Menge an Daten, die Social Media Plattformen gewinnen, Usern zuordnen können und Unternehmen zum Beispiel zum reduzieren von Streuverlusten bei Werbeschaltungen, zur Verfügung stellen.

Gerade Österreich und Deutschland, auch die Schweiz, gelten als die Märkte, in denen Privacy und Data Concerns am lautesten sind (Hucal, 2016). Der Jurist und Datenschutz-Aktivist Max Schrems, der Facebook mehrfach klagte und schließlich sogar das „Safe Harbor“-Datenschutzabkommen zwischen Europa und den USA kippte, stammt aus Österreich und die Wahl seines Themas war sicher durch die Datenschutzdiskussionen hierzulande beeinflusst.
Dennoch scheint der Convenience Faktor bei der Entscheidung, ob man eine Plattform wie Facebook oder auch WhatsApp verwendet, wichtiger zu sein, als Datenschutz. Nicht nur haben bekannt gewordene Sicherheitslücken – oder lückenlose Überwachung – zu keinem Userrückgang geführt. Nein, die ÖsterreicherInnen habe sich auch wenig für Plattformen wie uboot.at, SanktOnlein, StudiVZ oder Diaspora interessiert, die explizit auf Datenschutz setzten.

Wirtschaftliche Etablierung in Österreich

Bei den Unternehmen ist Social Media in Österreich mittlerweile ein häufig genutztes Vermarktungs- und Kommunikationsinstrument. Laut einer im Oktober 2016 durchgeführten Erhebung der Statistik Austria (2016)  sind von 39.520 österreichischen Unternehmen 46 Prozent in sozialen Netzwerken aktiv; allen voran die Branchen Handel, Dienstleistungen und Tourismus/Gastronomie. Besonders stark vertreten sind dabei Unternehmen mit 250 Mitarbeitern oder mehr (65 Prozent).

In Europa verdiente Facebook pro User 2016 durchschnittlich 4,735 Dollar pro Quartal an Werbeeinnahmen. Rechnet man diesen Durchschnittswert auf 3,6 Millionen österreichische User hoch, wären dies 68 Millionen Dollar (umgerechnet 64 Millionen Euro) Ad Revenue im Jahr 2016 in Österreich alleine.Um Facebook herum ist in Österreich eine nicht unwesentliche Wertschöpfung an Agenturleistungen wie Software Development, Video- Grafik- Text-Produktion, Community Management und Advertising- und Data-Management entstanden und von EPUs bis große Marken generieren Sales auf Facebook.

Youtube wird in den Revenue Zahlen von Google bzw. der Mutter-Company “Alphabet” nicht ausgewiesen, es gibt aber Schätzungen, dass ca. 6 Milliarden Dollar pro Jahr an Umsatz erwirtschaftet wird, wobei die Kernmärkte die USA und Großbritannien sind (Berg, 2016). Es ist daher schwer, die wirtschaftliche Relevanz von YouTube für den österreichischen Werbemarkt zu evaluieren. Dennoch kann man davon ausgehen, dass es in Österreich schon eine handvoll “YouTuber” gibt, die gut von ihrer Tätigkeit leben. So meinte die deutsche YouTube-Sprecherin Mounira Latrache in einem Interview:  “Es gibt Videomacher, die verdienen sechsstellig im Jahr.” (Spürk und Gröneweg, 2014) Und dazu sei gesagt, dass hier der österreichische Markt ausnahmsweise nicht gesondert gesehen werden muss, weil auch die österreichischen Youtuber wie ‘KS Freak’ für den gesamten deutschsprachigen Raum produzieren können. YouTube und seine Content Creators haben Schweigepflicht über die TKPs. “KS Freak” mit seinem fast 2 Millionen Abonnenten verdient laut SocialBlade.com hochgerechnet auf seine Reichweite zwischen 40.000 und 585.000 Euro im Jahr an der Vermarktung seiner Reichweite; nicht eingerechnet sind Influencer-Kooperationen, Events und Off-air-Auftritte.

Facebook hat in Österreich keinen Unternehmenssitz; YouTube hat eine Vermarktungseinheit, die je offiziell 6 Millionen Euro im Jahr verdient; es wird aber vermutet, dass zumindest 140 Millionen Euro im Jahr in Österreich erwirtschaftet und teilweise in Irland versteuert werden (Szigetvari, 2016). Aus diesem Grund plant die österreichische Regierung auch im Jahr 2018 die (in Europa einzigartige) Werbeabgabe auf digitale Werbung auszuweiten.
Twitter veröffentlicht keine Zahlen aus einzelnen Ländern sondern gliedert nur in USA und International.

Da die Möglichkeit besteht, selbst als Werbetreibender Werbung einzubuchen, ist daher auch der Umsatz von Vermarktern in Österreich wenig relevant. Laut Q3/2016 Investor Relations Bericht macht Twitter drei Fünftel seines Umsatzes aber in den den USA; dazu kommt, dass die Sales Offices von Twitter in Deutschland 2016 aufgrund von Einsparungen geschlossen wurden – es ist davon auszugehen,dass der deutschsprachige Markt nur geringe Relevanz hat. Die wirtschaftliche Bedeutung von Twitter in Österreich ist also wohl vernachlässigbar.

Einfluss auf die Medienindustrie und Medienkonsum

Weltweit haben Social Media Plattformen die Medienindustrie tiefgreifend beeinflusst – ohne sich dabei selbst als Medienunternehmen einzuordnen. (siehe Seite 1 dieses Textes, Mark Zuckerberg sieht FB als “Technology Platform”) Die Plattformen sind durch die für jeden User individuell zusammengestellte Aggregation und Auslieferung von Nachrichten im “Stream” an den User zu einer der wichtigsten Mediendistributionskanäle geworden – und die Werbemöglichkeiten in eben diesem “Stream” hat sich für Marketer als ein zunehmend wichtiger Marketingkanal etabliert .

51% von befragten Usern (Digital Leader aus 143 Länder) für die “Digital News Project 2017”-Studie von Reuters  (Newman, 2017, S. 8) verwenden Social Media als News Quelle mindestens ein mal die Woche. 12 % sagen, dass Social Media ihre Hauptnewsquelle ist, allen voran ist Facebook dabei die wichtigste Plattform für Informationsinhalte.

Besonders bei der Nutzung von mobilen Geräten erfolgt die Navigation im Web via Social Media Streams, welche personalisierte Inhalte liefern, ohne dass der User URLs und Suchbegriffe eintippen muss. So heißt es im “Digital News Report 2017” von Reuters: “Across all our countries, a quarter of our sample now say the smartphone is their MAIN device for accessing digital news (…)”. (Newman, 2017, Seite 8f.)

Der logische nächste Schritt ist es nun in der Medienindustrie, den sogenannten“Lockscreen” zu dominieren, also Mobile-, Web- und Messenger Alerts auf das gelockte Smartphone schicken zu dürfen. Warum? Weil die klassischen Verlags- und Medienhäuser, oft in der Fachliteratur “Legacy Media” genannt, in eine Abhängigkeit von Social Media Plattformen geraten sind. Abhängig um Kontakt zu den LeserInnen zu erhalten, Medieninhalte zu distribuieren und Traffic für die Vermarktung, also Zugriffe auf die Inhalte, und somit Werbeauslieferungen generieren zu können. Auch in Österreich sind Medien in unterschiedlichem Ausmaß bereits aus Zugriffe via Facebook angewiesen; das Magazin “Miss” aus dem Styria-Verlag bekommt bis zu 70% seiner Zugriffe via Facebook, die meisten Publikationen verzeichneten 2015 ca. 10 – 20 Prozent des Traffics über die Plattform (Steinschaden, 2015). Die hauseigenen Apps der Medienhäuser in den Appstores verlieren an Relevanz; so wie Apps allgemein – jene der Social Media Plattformen ausgenommen.

Während früher die Seite 1, der Aufmacher, die Startseite bei Medienprodukten im Mittelpunkt stand, hat der User im digitalen Zeitalter eine andere Herangehensweise:  „Die News, die wichtig sind, finden mich.“ Diese Aussage, die gerne “einem anonymen User” zugeschrieben wird, steht für das dezentralisierte Web, ein Zeitalter der personalisierten und aggregierten Newskonsumation. (Benton, 2014)

Die Reichweite auf Facebook und somit die Abhängigkeit der Medienhäuser steht in direktem Zusammenhang mit den Algorithmen zur Informationsauslieferung, die hinter dem “Stream”  dieser Plattformen stehen. Dieser bewertet mal High-Quality-Medieninhalte, mal Katzenfotos, mal Infografiken und mal Livevideos als relevanter und zeigt diese mehr Usern für einen längeren Zeitpunkt an – und verschafft diesen dadurch Reichweite. Gerade Facebook hat eine Marktposition erreicht, wo es die Bedingungen diktiert kann – und die Medienhäusern in zweierlei Hinsicht bedroht: “Platforms are eating up the audience and the advertising dollars that media companies depend on”lautet die Aussage eines Verlegers für das Digital News Project; etwas differenzierter sieht es ein anderer Umfrageteilnehmer:“The power of GAFA (Google, Apple, Facebook and Amazon) is both an opportunity to address more/different users and a critical risk to our media role of hierarchizing messages.“(Newman, 2017, S. 9)

Denn auf der positiven Seite haben Digitale Medienhäuser wie Buzzfeed, VOX oder auch VICE ihren Aufstieg auch den neuen Plattformen und ihrer Distributionsmacht zu verdanken. Nichtsdestotrotz ist die Abhängigkeit von einer “Third Party”-Plattform ein Risiko und Facebooks Einfluss auf das reichweiten- und werbefinanzierte Geschäftsmodell der Medien groß. Hier wird sich in den nächsten Jahren zeigen, ob Facebook mehr vom High-Quality-Content der Medienhäuser oder die Medienhäuser mehr von der Distributionsmacht des Social Network abhängig ist.

Wer die Aufmerksamkeit der User hat, der hat auch die Macht. Facebook, einst nur ein Freundesnetzwerk, ist jetzt ein bedeutender kultureller und politischer Faktor, geworden.

Einfluss auf Politik und Meinungsbildung

Wie weiter oben bereits erwähnt, hat spätestens seit dem erfolgreichen US-Präsidentschaftswahlkampf 2008 auch hierzulande die Auseinandersetzung mit dem Einfluss von Social Media auf die politische Meinungsbildung und das Wahlverhalten begonnen (siehe weiter oben – Agenda Setting und Beauty Contests via Facebook).Die Österreichische Bundespräsidentschaftswahl 2016 mit ihrem 1. Wahldurchgang, der Stichwahl, der Wahlwiederhohlung und der Verschiebung der der Wahlwiederholung aufgrund defekter Kuverts brach eine neue Ära der Online-Wahlkämpfe in Österreich an. Wurden hier zwar immer noch pro Wahldurchgang Plakatwellen präsentiert und geklebt, war auch ersichtlich, dass Budgets sich effizienter einsetzen lassen bzw. einsetzen lassen müssen. Manche KandidatInnen hatte nicht das Budget für 24- oder 16-Bogen-Plakate, andere hatten nur Budget für den urbanen Raum, was dazu führte, dass in der Medienplanung erstmals Social Media mit seinen Targeting- und Segmentierungsmöglichkeiten  zu einer tragenden Kampagnen-Säule wurde. Kurz vor dem finalen Durchgang der österreichischen Bundespräsidentschaftswahl am 4. Dezember 2016 passierte schließlich in den USA, was die wenigsten vorhergesehen hatten: Am 8. November 2016 gewann Donald Trump die Wahl zum US-Präsidenten gegen Hillary Clinton. Dieses “unvorhersehbare” Ereignis führte zu einer Vielzahl an Erklärungsversuchen. So wurde zb. das Trump-unterstützende Medienportal “breitbart.com” mit seinen oft manipulativ gestalteten, parteiischen Nachrichten als Ursache gesehen, das sehr stark auf Social Media Sharing optimiert ist:

Media network anchored around Breitbart developed as a distinct and insulated media system, using social media as a backbone to transmit a hyperpartisan perspective to the world.” (Benkler, 2017)

Unwahre, halbwahre, parteiische oder satirische News (Beispiel: “The Pope endorses Donald Trump”- Schaedel, 2016) werden nun unter dem Begriff  “Fake News” zusammengefasst und ihre Verbreitung und Bevorzugung durch den Facebook Algorithmus sowie die Monetarisierung via Facebook Atlas Netzwerk wurde als Wurzel von Trumps Erfolg ausgemacht und und eine Regulierung steht seitdem auf der politischen Agenda vieler Staaten. Während laut Mark Zuckerberg nur ein Prozent aller Nachrichten auf Facebook im Wahlkampf “Fake News” waren, argumentierte NYTimes-CEO Mark Thompson, dass die User Interaktion im letzten halben Jahr vor der Wahl mit “Fake News Storys” wie jenen von Breitbart wesentlich höher war als mit den Berichten der “Mainstream Medien” wie zb. der New York Times. (8.7 Millionen Interaktionen versus 7,3 Millionen Interaktionen auf die Top20-Berichte zur Wahl). Ganz unbeteiligt an dieser Entwicklung sind die Legacy Media Unternehmen allerdings auch nicht; in einer Studie des New Yorker Forschungsinstituts “Data & Society” kommt man zum Schluss:

“The media’s dependence on social media, analytics and metrics, sensationalism, novelty over newsworthiness, and clickbait makes them vulnerable to such media manipulation.” (Marwick, Lewis, 2017, S. 1)

Diese hohen Klickzahlen und ihre widersprüchlichen Interpretationen, der Einsatz von Social Bots von beiden Kampagnenteams (vor allem als PR Instrument, das von Journalisten zuwenig durchschaut wird) und zahlreiche noch nicht endgültig geklärte Hacks und Veröffentlichung von vertraulichen Informationen aus den dem Wahlkampfteam rund um Hillary Clintons führt zu einem großen Vertrauensverlust und dem Eindruck, der Wahlkampf sei von Desinformation und Propaganda geprägt gewesen. Ob dem so war, wird sich wohl erst im Laufe der nächste Monate und Jahre vollständig und seriös klären lassen.

Die Angst vor der Manipulation der Massen durch Massenmedien und Psychologie, die jedes neue Massenmedium begleitet, prägt derzeit die Debatte um den oder sogar die Wahlkämpfe (US, Brexit, AUT Bundespräsidentschaft) von 2016 (Tworek, 2017). Wie viel Unsicherheit hier in der Einschätzung der Möglichkeiten neuer Medien herrscht, zeigt sich exemplarisch an den Mythen um eine Daten-Agentur namens “Cambridge Analytics”. Einer der Auslöser war ein Artikel in einem Schweizer Medium, dass die Eigen-PR der Cambridge Analytics in eine thriller-ähnliche Geschichte packte,, wie die Wähler in den USA mit einer einfachen Kombination aus einem Persönlichkeitstest und vielzähligen auf diese Persönlichkeit zugeschnittenen Negativnachrichten “hereingefallen waren” und so Hillary Clinton nicht wählen bzw. Donald Trump wählten. Der Glaube, endlich eine Erklärung für den Wahlsieg Trumps zu haben, ließ Kommunikationsexperten, Politiker und Politikwissenschafter sowie Digitalexperten und auch viele Journalisten kurz vergessen, die richtigen Fragen zu stellen: Geht es wirklich so leicht, Menschen via Facebook zu manipulieren? Wurden die Methoden der Datensegmentierung und der personalisierten Botschaften nicht schon öfter eingesetzt – mit guten aber nicht weltbewegenden Erfolgen wie im Artikel beschrieben? Wie kann es sein, dass die Agentur auch mit dem Einsatz ihrer Methode für Ted Cruz’ Kampagne prahlt – der aber sehr unerfolgreich blieb?  Die Agentur und ihre dubiosen Verwicklungen in die Brexit-Kampagne kommt mittlerweile kaum mehr aus den Medien (Cadwalladr, 2017), Cambridge Analytics sind nun aber auch Dauergäste auf Parteiklausuren, Podiumsdiskussionen und Fachkonferenzen.
War vor wenigen Jahren noch bei Organisationen die häufigste Frage von Wahlkampfmanagern noch: “Bringt Social Media denn etwas?” wurden Facebook und seine Möglichkeiten plötzlich zum erhofften magischen Wundermittel. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es schwer, Eigen-PR und tatsächliche Erfolge der Methodik klar zu trennen.

Auf welche Informationen kann man sich nun stützen? Mit einem außergewöhnlich großen Sample könnte Soziologen der Ohio State University arbeiten, die eine Studie direkt im September 2012  direkt mit der Hilfe von Facebook durchführten. Ziel war es, den den Einfluss von Social Media auf Mobilisierung auf die Kongresswahlen in den USA zu untersuchen, mit nicht weniger als 61 Millionen Teilnehmern. Außerdem sollte die Bedeutung von Sozialem Einfluss via Social Media erhoben werden. (Bond, 2012)

Bei dem Versuch spielte Facebook am Tag der Wahl an 60 Millionen User einen „Geh wählen”-Hinweis und eine Applikation zur Suche eines Wahllokal aus; anschließend konnte ein „Ich habe gewählt“-Button gewählt werden. Die Erkenntnis der Wissenschaftler: “The results show that the messages directly influenced political self-expression, information seeking and real- world voting behaviour of millions of people.“ (Bond, 2012, S. 1)

Das Kontaktieren von potentiellen Wählern hat kleine Effekte, der Mobilisierungserfolg liegt im Bereich von 1 – 10 % Wahrscheinlichkeit, dass jemand der den Aufruf sieht auch Wählen geht. Bei 60 Millionen Usern sind dies aber auch zwischen 600.000 und 6 Mio WählerInnen. Ein wesentlich deutlicherer Effekt ist allerdings meßbar, wenn wir sehen, dass jemand aus unserem engeren Freundeskreis, unserer Peer Group, wählen war. Dieser Effekt ist viel stärker als der Wahlaufruf von Parteien oder von neutralen Institutionen:

„Thus, ordinary Facebook friends may affect online expressive behaviour, but they do not seem to affect private or real-world political behaviours. In contrast, close friends seem to have influenced all three.” (Bond, 2012, S. 3)

Neben sozialem Einfluss gibt es aber noch eine Vielzahl von Faktoren, die auf die politische Meinungsbildung einwirkungen, von persönlichen wie Grundwerte oder Inhalte auch kampagnenspezifische wie Branding, Darstellung des Kandidaten oder  Botschaften. Denn was nützt einer Partei die beste Datenstrategie, die mir ermöglicht, einen potentiellen Wähler mehrfach zu kontaktieren, wenn die Botschaften nicht ankommen oder der Kandidat nicht ankommt. Derzeit stehen wir noch am Beginn der Auswertung von Kampagneneffekten. Der Wähler ist und bleibt volatil.

Immerwährendes Neuland

Für deutsche und österreichische Marketer endete die “Social Media Ära” vielleicht schon im Dezember 2013, als der damalige Deutschlandchef von Facebook, Scott Woods, in einem Interview meinte: “Ich mag den Begriff ‘Social’ nicht mehr hören.” (dfv Mediengruppe, 2013) Die sogenannte “organische”, also unbezahlte Reichweite für Postings, war von Facebook quasi abgestellt worden. Das bedeutete, dass der Inhalt der Postings weniger wichtig wurde, da er sowieso bezahlt beworben werden musste. Damit war Facebook eigentlich für Marketer zur klassischen Online-Plattform geworden.

Aber das war nicht das einzige Anzeichen vom Ende von “Social Media”, denn mittlerweile verwenden eine Milliarde User (von 1.7 Milliarden gesamt) Facebook ausschließlich über das Smartphone. Die Mobilen “MAUs” und “DAUs” (Facebook 2016, S. 5) sind für die Shareholder eine der wichtigsten Kennzahlen – und auch der Grund für die Akquisitionen von Instagram und WhatsApp. Und genauso verhält es sich bei allen anderen Social Media Unternehmen: “Social” ist längst von “Mobile” abgelöst worden. Denn die Social Media Plattformen sind die die meistgenutzten Apps am Smartphone – und die Smartphones die meistgenutzten Medien unserer Zeit. Und so ist der neueste Stern am “Social Media”-Himmel, Snapchat, eigentlich eine Mischung aus Instant Messenger und mobilem TV-Gerät, und 2017 gerade dabei, mit ca. 300 Millionen MAUs weltweit  an die Börse zu gehen. Neuere Social Media Definitionen beziehen sich weniger auf Webplattformen, sondern immer mehr auf das Smartphone (Business Dictionary).

Nach einigen Jahren in der frühen Phase befindet sich Social Media jetzt also an seinem Höhepunkt. Es gibt nach wie vor Möglichkeiten des Wachstums, aber auch erste Abnutzungserscheinungen. Mehr Menschen partizipieren nun via Social Media an Diskussionen zu Themen wie Flüchtlingspolitik und Freihandelsabkommen wie CETA und TTIP. Aber auch mehr Hasskommentare führen zu mehr strafrechtlicher Verfolgung oder dazu, dass Medienplattformen ihre Kommentarfunktionen abdrehen.

War für Unternehmen und Marketer auf Social Media eine Interaktion, ein Kommentar vor wenigen Jahren die harte Währung, zählen nun Reichweite oder “Lightweight”-Interaktionen wie “Thumbstopping”, also das Stoppen des Daumens auf dem Smartphone-Bildschirm bei einem interessanten Inhalt.

Egalitäres Publishing auf Social Media  wird durch Algorithmen beeinflusst, die Kommunikatoren aus den klassischen Medien aufgrund ihrer Prominenz oft den Vorzug geben: José van Djick (2013, S. 13) schreibt dabei vom popularity principle:

“The more contacts you have and make, the more valuable you become, because more people think you are popular and hence want to connect with you.”

Die Populariätsmechanismen und Rankings sind in diesen Plattformen eine Art glücksspielgleicher Effekt, den wir bedienen wollen und aus dem wir “soziales Kapital” schöpfen, mehr Kontakte, die uns besser vernetzt und wichtig sein – oder erscheinen – lassen.

Während langsam politische Entscheidungsträger in die Gänge kommen kommen und die Durchsetzung von eigentlich bestehenden Gesetzen forcieren, für Ereignisse aufgrund ihrer virtuelle Natur so schwer verfolgbar schienen, sind die User eigentlich schon dabei, ihre Kommunikation in “Walled Gardens” wie WhatsApp, Facebook Messenger oder WeChat, Plattformen mit geschlossenen Ökosystemen, zu verlegen. Messenger Services werden die wichtigsten Anwendungen am Smartphone und dazugehörige Bots lösen simple Apps und Sucheingaben ab.

Plattformen wie Facebook, YouTube oder auch Snapchat entwickeln sich permanent weiter. Vom Begriff “Social” haben sich manche der Plattform schon verabschiedet und während wir noch daran hängen, haben sich diese Firmen in den letzten Jahren bereits mehrfach neu erfunden. Wie kann es also weitergehen? YouTube baut zum Beispiel seinen “Youtube Red”-Premium Content Bereich aus, Facebook und YouTube investierten stark in Virtual Reality, Content sowie Hardware, um auch hier wieder die nächste Plattform und den besten Inhalt bieten zu können – und diesen zu vermarkten. Wahrscheinlich reden wir in fünf bis zehn Jahren immer noch über Facebook und YouTube, vielleicht auch über Snapchat und Twitter und neue Playern, die Nischen besetzen und Innovationen von außen einbringen. Aber die Technologien der Plattformen werden völlig andere sein. Wie “Social” diese Plattformen noch sein werden, ist fraglich. Doch eine Lektion musste Facebook schon lernen: Sukzessive hatte der Facebook Algorithmus in den letzten Jahren die persönlichen Inhalte der User weniger, dafür professionelle Medieninhalte im News Feed der User mehr angezeigt. Nachdem man merkte, dass die User weniger Inhalte teilten und interagierten, änderte Facebook den Algorithmus wieder (Berovic, 2016). Denn ganz ohne Social geht Social Media nicht.

Das war der fünfte und letzte Teil der Mediengeschichte. Für die ganz interessierten gibt es noch eine Bibliographie.

Alle Teile:
Teil 1: Social Media in Österreich. Eine Mediengeschichte mit Begriffsdefinition und dem ersten österreichische Vorläufer Blackbox
Teil 2: Fokus auf Vernetzung und die Gründerjahre in den 2000ern
Teil 3: Österreichische Versuch: Uboot.com, Tripwolf, Soup.io, Sankt Onlein sowie ATV und ORF
Teil 4: Die Gewinner: Facebook, Instagram, WhatsApp, Youtube und Twitter
Teil 5: Wie konnte sich Social Media in Österreich etablieren? Wieviel Einfluss auf die Meinungsbildung und politische Kommunikation haben sie und warum?
Teil 6: Bibliographie

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