Fokus auf Vernetzung: Stunde Null für Social Media
Bereits in den 1990er Jahren gab es Online Tagebücher, Vorläufer der unter dem Web 2.0 Begriff firmierenden Blogs (vgl. Sajithra und Patil, 2013 S. 72) Eine weitere, Social Media definierende Funktion, wurde dann 1995 erstmals entwickelt und auf classmates.comeingesetzt: Die Vernetzungsfunktion. Die Plattform gilt als erstes Social Network und als einer der wenigen Überlebenden des dot.com-Crashs von 2001. Ziel von Classmates ist es, Freunde und Bekannte aus Zeiten des Kindergarten über Schule und Ausbildung hinweg nicht aus den Augen zu verlieren – eine der wichtigsten Funktionen zum Beispiel auch von Facebook (Ellison, Steinfeld, & Lampe, 2007)1. Classmates.com betreibt heute noch unter der Domain bzw. dem Namen “stayfriends.at” auch Outlets in Österreich, ebenso in Deutschland, Schweden und Frankreich.2
Die 2000er-Jahre: Die Gründerphase
Nach dem Platzen der dot.com-Bubble und der Analyse der Schwachstellen in Geschäftsmodellen und Erwartungshaltungen, begann sich mit dem Web 2.0 eine neue, user-zentrierte Form der Produktentwicklung zu etablieren. Blogs und Wikis entstanden, Personalisierung (durch persönliche Profile, Avatare, Namen, maßgeschneiderte Empfehlungen und sogar Werbung), Partizipationsmöglichkeiten (Social Bookmarks, Widgets, Ratings und Reviews) und Dezentralisierung (RSS Feeds, Widgets) sollten in der Web 2.0 Ära zeigen, dass man aus Fehlern gelernt hatte. Weltweit wurden in der ersten Hälfte des Jahrzehnts viele Social Media Services gegründet, die in ihrer jeweiligen Region oder Sprachraum erfolgreich waren, wie “Iwiw in Ungarn “Hyves” in den Niederlanden, “Lidé”in der Tschechischen Republik, “Nasza-Klasa” in Polen oder “Orkut” in Brasilien – übrigens einer der Versuche von Google, im Bereich von Social Media Fuß zu fassen Youtube wurde 2006 von google akquiriert und ist das erfolgreichste Google-Engagement im Bereich Social Media. Ab 2010 verloren alle diese Plattformen massiv User an Facebook; manchen brachen schon zuvor ein.3
MYSPACE
Erstmals sichtbar wurde das Potenzial von Social Media, Millionen und später Milliarden User zu gewinnen, am Beispiel von Myspace. 2003 gegründet, bot Myspace eine offene Plattform für User, die sich anmelden und vernetzen konnten. Und früh entdeckten die User einen inhaltlichen Mehrwert durch technische Innovation: Sie konnten mp3-Audio-Dateien einfach auf die eigene Profil-Seite hochladen und jeder Seitenbesucher konnte diese ohne Installation einer Software abspielen. Plötzlich war es jeder Garagenband möglich, sich eine Präsenz im Web innerhalb weniger Minuten zu basteln und auch ihre Musik dort on demand zu streamen – und einem potenziellen weltweiten Publikum zugänglich zu machen. 2005 von Rupert Murdochs “News Corporation” übernommen, hatte Myspace ein Jahr später 100 Millionen User. Bis 2008 war es hinsichtlich Traffic und User das wertvollste Social Network, auch in Europa. In Österreich war Myspace die am 11-häufigst aufgerufene Seite in 2008.4
Mit Mitte 2007 begann Facebook aber, sich zunehmend zu öffnen und dank einer aggressiven Wachstumsstrategie überholte Facebook Myspace im Alexa-Traffic-Ranking. Bis 2011 verlor Myspace aktive User und Werbekunden, bis die “News Corp” das Netzwerk an ein Investorenkonsortium verkaufte. Myspace existiert nach wie vor, ist aber als Social Network nicht mehr relevant.
StudiVZ
Der deutsche Sprachraum umfasst mehr als 100 Millionen Muttersprachler (Sprachkreis Deutsch, 2012) in mehreren Ländern insofern ist es naheliegend, dass ein deutsprachiges Social Network bessere Chancen am Markt hat als ein nur auf einen kleineren Sprachraum begrenztes Netzwerk.
Das auf den deutschsprachigen Markt ausgerichtete StudiVZ – kurz für “Studiverzeichnis” – wurde 2005 gegründet und war, bis auf Designunterschiede (rot statt blau als dominierende Farbe) eine Facebook-Copycat. Durch den sehr frühen Markteintritt in Deutschland im Jahr 2005 hatte StudiVZ einige Jahre steilen Wachstums vor sich. 2006 hatte das StudiVZ-Netzwerk bereits 2,3 Millionen User im deutschsprachigen Raum; zu einem Zeitpunkt, als Facebook ohne US-Postleitzahl noch gar nicht nutzbar war. 2007 wurde StudiVZ für kolportierte 85 Millionen Euro von der Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck gekauft. Doch Facebook begann mit einer weltweiten Expansionsstrategie und klagte die Betreiber von StudiVZ. Man einigte sich außergerichtlich; ab 2011 aber hatte Facebook StudiVZ an User-Zahlen überholt, bis 2012 brachen Verweildauer von StudiVZ und die Zugriffe um 80 Prozent ein. Die FAZ meinte dazu
“Während Facebook Spiele und andere Apps anderer Firmen auf seine Seite aufnahm, sich im Internet ausbreitete und dabei immer wieder auf Nutzerproteste und Datenschutzbedenken stieß, tat sich bei StudiVZ – fast nichts. Das aber datenschutzkonform: Die StudiVZ-Manager legten großen Wert darauf, dass ihre Plattform in Datenschutztests und bei der Stiftung Warentest gut abschnitt. Die Mitglieder entschieden sich trotzdem für Facebook.”(FAZ, 2012)
Facebooks Strategie, sich in beide Richtungen zu öffnen und die Plattform für externe Entwickler zu öffnen, aber auch Likes und Facebook Connect als Verbindung aus der Plattform hinaus zu installieren, hat StudiVZ schnell obsolet gemacht. Im Jänner 2017 kam die Seite noch auf knapp 179.000 Total Visits (Similar Web). Gleichzeitig steht die Poolworks Ltd, die Betreiberfirma der VZ Netzwerk zum Verkauf und hat zuletzt zwei Millionen Euro Verlust geschrieben (Kannenberg, 2017).
Netlog
Seit 1999 im Web, war Netlog zuerst unter den Namen Redbox/Facebox/Bingbox aktiv. Die Plattform aus Belgien setzte ihren Fokus früh auf Jugendliche als Zielgruppe. Netlog wuchs jahrelang massiv, und hatte bis zu 100 Millionen User, vor allem in Europa und der MENA Region.
In Österreich waren 2010 weit über 700.000 User, vor allem Jugendliche zwischen 13 und 20 Jahren ( User laut Netlog Werbeplaner,; Digital Affairs, 2010) auf Netlog, damit war es 2010 in dieser Altersgruppe das stärkste Social Network. 2014 stellte Netlog aber seinen Betrieb ein bzw. ging im Dating-Portal “Twoo” auf. Facebook hatte auch die Kernzielgruppe von Netlog eingesogen.
Das war Teil 2 der Mediengeschichte.
So geht’s weiter:
Teil 1: Social Media in Österreich. Eine Mediengeschichte mit Begriffsdefinition und dem ersten österreichische Vorläufer Blackbox
Teil 3: Österreichische Versuch: Uboot.com, Tripwolf, Soup.io, Sankt Onlein sowie ATV und ORF
Teil 4: Die Gewinner: Facebook, Instagram, WhatsApp, Youtube und Twitter
Teil 5: Wie konnte sich Social Media in Österreich etablieren? Wieviel Einfluss auf die Meinungsbildung und politische Kommunikation haben sie und warum?
Teil 6: Bibliographie
Fußnoten:
- Classmates.com hat sich in den letzten Jahren in einer älteren Zielgruppe positioniert und auf das Wiederfinden von alten Bekannten und Austausch von nostalgischem Content konzentriert – aus diesem Grund fand auch ein langsames Rebranding unter dem Namen “Memory lane” statt; dass aber nicht funktioniert und seit 2011 wieder zurückgenommen wurde. (Cook, 2013)
- Alternativ wird öfter auch das 1997 gelaunchte (und 2001 wieder eingestellte) Sixdegrees.com als die erste Social Media Plattform bezeichnet.# Die Plattform ermöglichte das Vernetzen mit Freunden und das Senden von Nachrichten. Damit waren die Funktionalitäten allerdings ausgeschöpft, was neben dem Fehlen eines Businessmodells zu einem baldigen Ende der Seite führte.
- Einige Beispiele: “Iwiw” in Ungarn von 2002 – 2014 aktiv, “Hyves” in den Niederlanden von 2004 – 2013, “Lidé” in der Tschechischen Republik wurde schon 1997 als Chat- und Dating-Plattform gegründet und gehört zur Gratis-Emailprovider-Plattform und Suchmaschine Seznam.cz, die in Tschechien bis 2012 stärkste Suchmaschine war und schließlich von google überholt wurde. “Lidé” verlor zwischen 2010 und März 2014 aufgrund der Konkurrenz durch ausländische soziale Netzwerke über die Hälfte der Nutzer – von 1,4 Millionen auf 750k. – “Nasza-Klasa” in Polen wurde 2006 gelauncht und befand sich 2009 am Peak mit 13,5 Millionen Usern, vorwiegend polnischen, aber auch vielen in Norwegen. 2014 waren es dann nur noch unter 7 Millionen, Tendenz fallend. Hier wurden nun ausschließlich europäische Netzwerke genannt, von denen es noch viele mehr gab. Doch auch außerhalb von Europa wiederholt sich das Muster: So sei hier beispielhaft noch “Friendster” (gegründet in Malaysien, besonders bei Usern in Indonesien, Malaysien und Singapur beliebt), das von 2002 an bis 2015 zuerst als Social Network und schließlich als Gaming Plattform agierte – und dann sei auch noch “Orkut” genannt, eines der mehreren Versuche von Google, im Bereich von Social Media eine eigene Social Media Plattform zu erschaffen, die sehr lange die erfolgreichste Plattform in Brasilien und Indien war – ebenfalls in der Periode von 2004 – 2014. (→ Coseanza)
- Basierend auf Alexa.com Zahlen, aufgerufen/zitiert von Computerwoche 2000, zitiert bei Högelsberger 2008, S. 85. Högelsberger weist auch auf die wenig exakten Zahlen in der Messung von Usern hin; verschiedenen Quellen wiedersprachen einander. In Deutschland sollen 2,5 Millionen User in den ersten 3 Monaten gezählt worden sein.