Mediengeschichte: Social Media in Österreich

In fünf Teilen sind hier die Eckpunkte der österreichischen Social Media Mediengeschichte aufgearbeitet. Fokus habe ich dabei auf Vernetzung ausgerichtete Social Media Plattformen gelegt; Blogs, Datingplattformen und andere habe ich ausgeschlossen1.

Viel Spaß!

Teil 1: Social Media in Österreich. Eine Mediengeschichte mit Begriffsdefinition und dem ersten österreichische Vorläufer Blackbox
(Sie befinden sich hier! Ein bisserl weiter unten geht es los!)
Teil 2: Fokus auf Vernetzung und die Gründerjahre in den 2000ern
Teil 3: Österreichische Versuch: Uboot.com, Tripwolf, Soup.io, Sankt Onlein sowie ATV und ORF
Teil 4: Die Gewinner: Facebook, Instagram, WhatsApp, Youtube und Twitter
Teil 5: Wie konnte sich Social Media in Österreich etablieren? Wieviel Einfluss auf die Meinungsbildung und politische Kommunikation haben sie und warum?
Teil 6: Bibliographie

25 Jahre Social Media in Österreich  – Von Innovatoren, Gewinnern und Verlierern der Internationalisierung und dem immerwährenden Neuland

Lesezeit, gefühlt: EWIG.

Facebook, YouTube und Twitter – diese Social Media Plattformen sind Anfang 2017 weltweit dominierend – so auch in Österreich. Keine davon wurde in Österreich gegründet; dementsprechend drängt sich die Frage auf: Gibt es eigentlich eine österreichische Social Media Geschichte? Gleich vorweg: Ja, es gibt sie. Es ist eine Geschichte, die aufzeigt, wie technologische Produktzyklen funktionieren – und was es braucht, Innovation voranzutreiben.

Worauf kann sich diese österreichische Social Media Geschichte beziehen? Es liegt nahe, die Versuche aufzuzeigen, die es in Österreich gab, Social Media Plattformen zu starten. Damit verbunden: Warum hatten nationale Plattformen hier das Nachsehen und was haben die dominierenden Plattformen richtig gemacht? Eine weitere Frage sei den aktuell in Österreich am meisten genutzten Plattformen gewidmet: Wie gewinnen sie User, welche Rolle spielen sie in der Meinungsbildung bzw. als Bestandteil des öffentlichen Diskurses und wie haben sie sich auch als Wirtschaftsfaktor etabliert?

2017 sind 31 Prozent der Weltbevölkerung (Statistia 1) auf Social Media Plattformen registriert und verbringen einen großen Teil ihres Zeitkontingents für Mediennutzung ebenda. Dennoch ist die Eigendefinition von Facebook bzw. seines Erfinders und Vorstandsvorsitzenden, Mark Zuckerberg, eine andere:

„Facebook is a new kind of platform different from anything before it. I think of Facebook as a technology company, but I recognize we have a greater responsibility than just building technology that information flows through.“ *(Zuckerberg, 2016)

Zuckerberg sieht Facebook als Technologie  bzw. Infrastrukturunternehmen; Und so wie für ihn ist der Begriff “Social Media” wahrscheinlich für viele der in diesem Beitrag besprochenen Unternehmen maximal eine Fremdzuschreibung. Das macht die Definition des Begriffs Social Media, deren Inhalte und deren definierende Merkmale so divers sind, terminologisch schwer zu fassen.

Social Network Facebook

Die ständig wachsende Anzahl an Funktionen und Features der Plattformen sind kaum zu überblicken. In ihren knapp 15 Jahren des Bestehens haben Social Media Plattformen bereits eine Vielzahl an Evolutionsstufen hinter sich – und es macht den Eindruck, als würde diese kontuinuierliche Weiterentwicklung inklusive permanenten Strategiewechseln in den nächsten Jahren weitergehen. Denn nur so können Technologieunternehmen in Zeiten von “Hypercompetition” Bestand haben.

Web 2.0 versus Social Media

Vor dem Terminus “Social Media” etablierte sich etwa  2004 der Begriff “Web 2.0” zur Beschreibung dieser neuen Generation an Internetanwendungen; unter dieser Bezeichnung fanden auch mediale Berichterstattung und Fachdiskussionen zu Myspace und anderen Plattformen in 2005/2006 statt. “Web 2.0” wurde auf einer Konferenz des Unternehmers und Open-Source-Experten Tim O’Reilly erstmals erwähnt. O’Reillys Definition bezieht sich aber wesentlich stärker auf den Aspekt der technischen Infrastruktur. Er sieht die Skalierbarkeit und Kosteneffizienz von Datenspeichern, damit auch Cloud Computing und Software as a Service (SaaS) als zukünftigen Standard voraus, welche die Komplexität und Veröffentlichungszyklen von Software, wie bisher für Desktopgeräte üblich, ablösen werden, ebenso dass Webapplikationen nicht nur für den Desktop sondern für verschiedene Endgeräte programmiert werden würden. Eine durchaus weitsichtige Einschätzung.
Ab Ende 2009/Anfang 2010 wird der Begriff “Web 2.0” klar von “Social Media” in der Verwendung abgelöst. Dabei soll auch dieser Begriff schon in den 1990ern verwendet worden sein (O’Reilly, 2006) Laut Merriam-Webster handelt es sich bei Social Media um

Forms of electronic communication (as Web sites for social networking and microblogging) through which users create online communities to share information, ideas, personal messages, and other content (as videos).”
Und etwas ausführlicher sind diese vier Aspekte auch in der Definition von Obar und Wildman (2015) oder José van Dijck (2013) zu finden, hier zusammengefasst:

  1. Die Internet-basierte Applikation. Diese ermöglicht Interaktivität, wobei die Technologie hinter Social Media mittlerweile so flexibel ist, dass es schon wieder schwer ist, diese 2017 noch als Definitionsmerkmal heranzuzuziehen.
  2. Der User-Generated Content. Der Treibstoff in den Kanälen von Social Media. Daher war es die große Innovation von Social Media, die Contenterstellung und das Publishing so einfach wie möglich zu machen und auch auch die Partizipationsmöglichkeiten (wie z.B. den Like Button von Facebook) so niederschwellig zu machen, dass es jedem User leicht gemacht wird, aktiv zu sein und zu bleiben. Social Media Plattformen zeichnen sich dadurch aus, dass sie es technologisch wie inhaltlich schaffen, die sogenannten 90/9/1 “Participation Inequality”- Regel von Jacob Nielsen (2006) zu durchbrechen.
  3. Die Selbstdarstellung. Individuen/Organisationen kreieren eigenen Profile bzw. Online-Identitäten und präsentieren sich.
  4. Der Vernetzungsaspekt: Gruppen/Individuen vernetzen sich (und abonnieren so die Inhalte der anderen.

Obar und Wildmann (2015) beschreiben das prägnanteste Stilelement von Social Media der inhaltlichen Ebene zu, speziell dem von Usern (egal ob privat oder institutionell) erstellten User Generated Content. Sie zeigen hier auch, dass der Fokus der Definition von Social Media im Gegensatz zu Web 2.0 ein ideologischer ist 2: Der User kann egalitär mit Organisationen im Web publizieren – unabhängig von technischem Know How und finanziellen Ressourcen3 Die Technologie gibt vor, in welcher Weise der User partizipieren kann. Der Netzwerk-Aspekt zählt zur inhaltlichen Ebene:

„(…) Web 2.0 is the ideology and user-generated content is the fuel. The personal information you enter into your Facebook profile (…) the network connection you create by “friending“, the video you upload to Youtube, the tweet you post on Twitter (…) are all examples of the user-generated content that fuel social media sites.” (Obar und Wildmann, 2015, S.7)
Ergänzend sei gesagt, dass Social Media, wie schon Chatrooms, Peer2Peer Plattformen und Web 2.0 auch durch die Möglichkeit zur “Many-to-Many”-Kommunikation (vgl. zB. Shirky, 2008) definiert werden.Jeder potentieller Sender und gleichzeitig potentieller Empfänger zu einem potentiell weltweiten Publikum ist ein Massenmedium mit Rückkanal.

Kommunikation im Web

Die technische Verbreitung des Internets, in den 80er Jahren noch vor allem Universitäten, Unternehmen, Forschungseinrichtungen sowie dem Militär vorbehalten, wird weltweit in den 90er Jahren stark vorangetrieben und schafft auch die Voraussetzung für die Erfolge zukünftiger Social Media Plattformen (Integral AIM 2016).So schreibt Plasser (2009, S. 42) von “9 Prozent aller Österreicher im World Wide Web in 1996;  im Jahr 2009 73 Prozent (Integral Markt- und Meinungsforschung 2009).”

Im Q3/2016 sind es laut Austrian Internet Monitor von Integral 84 Prozent der Österreicher bzw. 6,9 Millionen Österreicherinnen, die das Internet benutzen (Integral AIM, 2016).

Das Web bot mit E-Mails, Chats, Foren und Message Boards seit jeher eine Vielzahl an Kommunikationsmöglichkeiten. Auch in Österreich gab es ab Ende der 90er Jahre Online Communities rund um den öffentlich-rechtlichen Österreichischen Rundfunk (ORF.at Forum oder den Chat des Radio-Senders Ö3, vgl. Rampetzreiter, 2010) und derStandard.at hatte ebenfalls bereits seit 1995 eine eigene Website und relativ früh auch eine Community, die jetzt immer noch eine der stärksten Österreichs ist. Vernetzung war kein erklärtes Ziel dieser Angebote.4Noch früher dran in Österreich war aber die Blackbox.

Die Blackbox 1992 – 2012

1992 beschlossen Mitglieder der Sozialistischen Jugend in Wien zur Vereinfachung der Datenverwaltung ein “First Class” Mailbox-System aufzusetzen. Mitglieder konnten sich fortan via Telefon mit selbstgewählten Logindaten und entsprechendem Client einloggen. Das war für die frühen 90er eine sehr einfache Art, ins Internet zu kommen und man erreichte damit junge, urbane, politisch und kulturelle interessierte Menschen; also “Leute, die sich technisch nicht auskennen” (Dax, 2012) – ein erster Schritt in Richtung Massenmedium.

Um dem “Braten im eigenen Saft” zu entgehen, beschloss man Anfang 1993 die Blackbox für den politischen und gesellschaftlichen Diskurs zu öffnen. Diese Entscheidung sehen die Gründer (Fasching, 2001, S. 71)  als jenen Moment, wo aus dem Arbeitsinstrument ein Medium wurde. Um neue User zu erreichen, vernetzte man sich mit dem Österreichischen Bundesjugendring (ÖBJR) und darüber hinaus mit diversen Vereinen; hinzu kamen die Wiener ÖVP, Liberale, die Wiener Grünen und NGOs. Die Blackbox verfolgte nicht-kommerzielle Ziele, wie viele der frühen Webprojekte5 (Kubicek, 1997, S. 11).

Die Infrastruktur zum Start wurde aus einem Projektfonds der Sozialistischen Jugend und des ÖBJR als Partner bestritten; später finanzierte man die Plattform durch Registrierungsgebühren, Premium Mitgliedschaften und fördernde Mitgliedschaften (Partnerschaften mit Jugendorganisationen und NGOs). Neben Mailboxen gab es aber auch Chats, auf der Blackbox “Konferenzen” genannt, zu verschiedenen Themen bzw. von verschiedenen Gruppen.

Eine Themengruppe machte damals auch über die Blackbox hinaus eine Österreich von sich reden. Aus der „30jährigen-Konferenz“, in welcher Mitglieder ihre Kindheitserinnerungen aus den 70ern austauschten, entstand die Grundlage für die „Wikie, Slime & Paiper“-Nostalgiewelle in Österreich6.>

Ab Mitte der 90er waren aber diese Mailbox Systeme nicht mehr pionierhaft, da das World Wide Web mit seiner grafischen Anwenderoberfläche begann, sich zu verbreiten (Vgl. Fasching 2001, S. 8 und S. 12) Dennoch hatte man 1997 ca. 4.000 aktive User; im Mai 2001 war mit 17.000 Registrierungen wohl der Höchststand erreicht (Vgl. Fasching, 2001 S 108).  Aufgrund von kostenlosen Konkurrenten wie Hotmail oder gmx stieg auch die Blackbox 1998 auf eine Web-Applikation um (blackbox.net), wodurch man zahlende Mitglieder und vermarktbare Werbereichweite verlor (vgl. Fasching, 2001, S. 71ff). Ein Marketingbudget für die Blackbox gab es nie, die Wachstumsstrategie war es, über Multiplikatoren und Mundpropaganda zu neuen Usern zu kommen (Fasching, 2001, S. 81). Doch die Bemühungen fruchteten nicht; nach einem Blackbox-Relaunch im Jahr 2010 blieb die erhoffte Trendwende aus.  2012 wurde die Blackbox eingestellt (Eisenriegler, 2012).

Das war der erste Teil der Mediengeschichte.

So geht’s weiter:

Teil 2: Fokus auf Vernetzung und die Gründerjahre in den 2000ern
Teil 3: Österreichische Versuch: Uboot.com, Tripwolf, Soup.io, Sankt Onlein sowie ATV und ORF
Teil 4: Die Gewinner: Facebook, Instagram, WhatsApp, Youtube und Twitter
Teil 5: Wie konnte sich Social Media in Österreich etablieren? Wieviel Einfluss auf die Meinungsbildung und politische Kommunikation haben sie und warum?
Teil 6: Bibliographie

Fußnoten

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  1. Das Feld der Web 2.0 und Social Media Plattformen ist weit, daher war es notwendig eine Auswahl zu treffen. Aufgrund der weiter oben angeführten Definitionskritieren, sollen folgende Plattformen hier nicht behandelt werden.

    Wikipedia fällt unter Web 2.0, aber der Vernetzungsaspekt spielt keine Rolle.
    Ebenso Blogs und die Blogosphäre, eigentlich eine Urform von Social Media durch die RSS Technologie und den Vernetzungsaspekt (Blogosphäre ist eigentlich auch ein Netzwerk aus Bloggern, ein Blogger und seine Leser, aber auch Vernetzung im Sinne von Hypertextualität und Blogrolls). Die Blogosphäre Österreichs wäre hier nochmal ein eigenes Thema.
    Dating Plattformen, somit auch die österreichischen Produkte wie “Websingles” und ”love.at” waren durchaus erfolgreich, hatten aber Selbstdarstellung und das “Matchen” von Personen, nicht das Netzwerken oder Publishen von Inhalten in im Focus.
    Ebenso ist die Foto- und Partycommunityseite “Szene1.at” mehr ein klassisches Message-Board um Partyfotos als ein Social Network mit dem Ziel der Vernetzung.
    Second Life, das ja in einer virtuellen Welt mit virtuellen Charaktere stattfand und als Online Game zu bewerten ist. Auch handelte es sich bei Second Life um ein medial kurzfristig gehyptes Phänomen, es herrscht Zweifel, ob die Community sich je über eine interessierte Fachwelt hinaus entwickelte.
    LinkedIn und Xing, beides Business-Netzwerke, müssen aufgrund ihre eingeschränkte Zielgruppe und des eingeschränkten Platzes leider unbehandelt bleiben.
    Flickr war einige Zeit eine beliebte Plattform für die Hobbyfotografen-Community und wurde von Unternehmen und Politik als cloudbasierte Ablage für ihre Pressefotos verwendet. Spannend war die Regelung der Nutzung durch Creative Commons Lizenzen, in diesem Sinne also auf jeden Fall eine Web 2.0 Plattform. Dennoch stand der Vernetzungsaspekt in der Nutzung bald wenig im Vordergrund und Flickr war vor allem in der professionellen Nutzung vor allem zu einem Mediencontainer geworden.
    Locationbasierte Services wie Foursquare, Gowalla, das österreichische Service Tupalo, Google Places/Hotpot, wo der Vernetzungsaspekt letztendlich weniger wichtig war als die Bewertung von Plätzen und Kreieren von Reviews und Emfpehlungen – diese mussten vor allem aus Platzgründen weichen.
    Garmz, später Lookk, eine in Wien gegründete Modecommunity, die die Schnittzeichnungen von Usern in reale Produkte umsetzten und so die Möglichkeit schufen, ein eigenes Online-Label zu gründen. Die Idee begeisterte Investoren und Modecommunity, doch erwiesen sich die Prozesse als sehr komplex. Die Geschichte und auch das Ende von Garmz zu analysieren, würde auch zuviel Platz einnehmen – und da auch hier eigentlich Commerce und nicht Vernetzung im Vordergrund stand, fiel Garmz leider raus.

  2. Vgl. Obar und Wildmann 2015, S. 747: „The shift of Web 2.0 however, was not necessarily the result of a substantive change in technology, but rather in ideology. The shift to Web 2.0 can be characterized as a shift from user as consumer to user as pariticipant.“
  3. zB. Einwählkosten, Kosten für Programmierleistung oder auch für Datenspeicherkapazitäten.
  4. DerStandard.at und ORF.at Forum bzw. Ö3-Chat, die aber aufgrund der nicht vorhandenen Vernetzung aus der Definition herausfallen und deshalb als Vorläufer gesehen werden können.
  5. Fasching 2001, S 8. Zitat zum Kommunikationszugang der Blackbox “Antikapitalistisch, nicht reguliert”
  6. Mehr Infos zum “Wickie, Slime und Paiper” https://de.wikipedia.org/wiki/Wickie,_Slime_%26_Paiper”

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