Welche Erlebnisse Sitzplatzreservierungen in (ÖBB-)Zügen so mit sich bringen

Ein Eigenversuch.

Seit etwas mehr als einem Jahr bin ich nun Teilzeit-Grazerin und mit dem Klimaticket für meine Dienstreisen habe ich mir gleich auch noch ein sogenanntes Reservierungsabo für die 2. Klasse mitgekauft – denn im Gegensatz zur Westbahn sind die Reservierungen bei der ÖBB mit Klimaticket nicht kostenlos und nur die ÖBB fährt aktuell über die visuell malerische und baulich veraltete Strecke über den Semmering.

Nun fahre ich schon seit 1998 regelmäßig mit dem Zug im Fernverkehr und habe eines gelernt: Der Österreicher lässt’s darauf ankommen. Man reserviert nicht, man setzt sich hin, wo frei ist, und sollte der Inhaber der Reservierung auftauchen, stellt man sich erst mal schlafend oder unwissend und wartet drauf, dass der einfach auf seinen Anspruch verzichtet und sich, auf gut Wienerisch gesagt, wieder schleicht. Und weil ich einen edukativen Auftrag gegenüber den Österreichern und ihrer Reservierungsunwilligkeit verspüre, habe ich beschlossen, genau das nicht zu tun. Nach der dritten Fahrt habe ich dann begonnen, mit zu dokumentieren, was ich so alles erlebe, wenn ich versuche meine Reservierung in Anspruch zu nehmen.
Die Fahrten fanden ausschließlich in Railjets (vorwiegend von der tschechischen staatlichen Bahn CD) und Eurocitys zwischen Wien Meidling und Graz statt.



Und so lief es

  • 2 x gab es den Waggon, in dem ich die Reservierung hatte, nicht (keine Rückerstattung der Kosten)
  • 4 x saß jemand auf meinem Platz, weil eine Reservierung am Vorabend oft morgens nicht mehr ins Zugreservierungssystem eingespielt wird, da steht dann „gegebenenfalls reserviert” und es ist sehr schwer zu vermitteln, warum bei gleichzeitig anderen freien Plätzen jemand hier auf seinen reservierten Platz besteht.
  • 3 x war das „Gegebenenfalls reserviert“ auf einem Schild in alten Zügen, also analog, gerade bei den morgendlichen Zügen mit vielen Pendlern ist das eine schwierige Situation für alle Parteien. Wobei Pendler am ehesten auf Reservierungen achten.
  • 5 x kam ein einfaches „hab nicht gesehen oder kenn’ mich nicht aus“, in den meisten Fällen stand die Person aber dann auch auf und verließ den Platz, in einem nicht (Begründung: “Jetzt hab ich den Laptop schon angesteckt”)
  • 2 x war die Reservierungsanzeige im gesamten Wagen ausgefallen (und es saß jemand am Platz, ging aber gleich weg)
  • 1x Platz anscheinend doppelt reserviert, an einem Freitag nachmittag in einem total mit Pendlern überfüllten Platz, Leute saßen am Boden. Jemand sitzt auf meinem reservierten Platz, steht auf, um seinen eigentlich reservierten Platz von wem anderen  einzufordern (der reagiert sehr aggressiv) und dann kam noch eine Person, die behauptete, ich säße auf einem reservierten Platz, ging, um den Schaffner zu suchen und kam nicht mehr zurück. 
  • 1 x  saß eine Touristin aus den USA auf meinem Platz, die unser Reservierungssystem nicht kannte, auch die Sprache nicht, sich umsetzte, nur um dann auf dem nächsten reservierten Platz zu landen
  • 2 x saß jemand auf meinem reservierten Platz, der auch reserviert hatte, aber woanders, und da saß aber auch schon jemand. In diesen Situationen potenziert sich die Zahl der schwer genervten Reisenden sehr schnell.

    Die Highlights
  • 1 x schliefen drei Personen quer über meinen Platz. Ich hab sie nicht aufgeweckt, konnte aber nicht widerstehen, sie heimlich zu fotografieren…
  • 1 x hat der Sitz in einem Eurocity schlicht und ergreifend nicht existiert. Nach einem Talk mit dem sehr netten Schaffner hat dieser mir bestätigt, dass ich nicht verrückt bin. Wahrscheinlich wurde das Online-Reservierungssystem nicht angepasst, nachdem die Eurocitys nachträglich ein tisch-ähnliches Gebilde eingebaut wurde.
  • 1 x hatte eine alte Damen den selben Platz wie ich, aber eine Stunde später reserviert und erklärt, sie will jetzt aber nicht später fahren, weil da ist es finster, wenn sie daheim ankommt (und sie will auch unbedingt in Fahrtrichtung sitzen). Das war einer der Fälle, wo ich es gut sein habe lassen.


    Business as usual
  • 5 x war mein Platz einfach frei und 
  • 8 x Reservierung nicht in Anspruch genommen, weil mit früherem oder späteren Zug gefahren. Die restlichen Reservierungen habe ich nicht mehr in Anspruch nehmen können, weil diese nach einem Jahr verfallen.

Rückblickend kann ich sagen, dass Zugreservierungen grundsätzlich, speziell aber seit dem Erfolg des Klimatickets und in besonders ausgelastete Zügen eine etwas mühsame Angelegenheit sind. Gerade Wien-Graz-Wien ist an beiden Enden morgens, nachmittags und speziell an Montagen und Freitagen voll mit Pendlern, die wohl selten stressfrei fahren können. Da lobe ich mir die Westbahn, mit der ich die andere Hälfte meiner Reisen zwischen Wien und Linz absolviere und jeder Reisende sich via QR-Code am Platz auf seinem (kostenlos reservierten) Sitzplatz einchecken kann. Das Einchecken funktioniert nur, wenn das entsprechende Ticket bei der Buchung im Account hinterlegt worden ist und spart dem Reisenden und dem Zugbegleiter auch gleich die Ticketkontrolle. Und auch die höhere Dichte an Zugbegleiter führt dazu, dass die Reservierungsunwilligkeit der Österreicher weniger durchgeht. Mal schauen, wann die ÖBB hier nachzieht, hoffentlich noch bevor die Westbahn auch Wien-Graz fährt. Das soll übrigens nach der Fertigstellung des Semmering-Basistunnels soweit sein, als frühestens 2028.

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