Gegen das Networking – oder: warum ich mein Leben zurück will.

Es ist normalerweise nicht mein Art, persönliche Dinge breitzutreten – denn eigentlich hasse ich diese vor Melancholie und Pathos triefenden Selbstoffenbarungen. Aber vielleicht kann ich so ein wenig den Gap zwischen Eigenwahrnehmung und Fremdwahrnehmung schließen.

Die Vorgeschichte: Nach längerer Vorbereitungszeit habe ich die Agenturbranche verlassen. Das ist gut so und war notwendig. Denn es hat sich ziemlich auf meine Gesundheit geschlagen. Einen großen Anteil daran hatte das, was man gerne „Networking“ nennt. Networking hat große Vorteile, man lernt viele wirklich spannende Menschen kennen, und um eine Agentur erfolgreich zu führen, braucht man ein Netzwerk.

Aber in den letzten Jahren – und wie es mir vorkommt – besonders stark in der Agentur/Digitalbranche, hat Netzwerken ein Ausmaß angenommen, das mir klar gemacht hat: Das geht sich für mich alles nicht mehr aus. Ich hatte nicht mehr den Eindruck, zu netzwerken – sondern genetzwerkt zu werden. Und da rede ich gar nicht davon, wieviele Arbeitszeit für (sinnbefreites) Netzwerken draufgeht.

Natürlich weiß ich, dass es meine eigene Schuld ist, wenn ich mich hier nicht ausreichend abgrenzen kann – oder konnte. Es war mir nur lange nicht bewusst, wie die Dinge zusammenspielen.
Dass Netzwerken und Menschen und Kommunikation in so einem Ausmaß introvertierten Menschen (ja, ich bin introvertiert – nein, das bedeutet nicht schüchtern), die Energie rauben kann.

Denn wenn ich nicht ausreichend Zeit für mich selbst habe, dann kommt mein Kopf nicht zur Ruhe.
Wenn mein Kopf nicht mehr zur Ruhe kommt, schlafe ich schlecht.
Wenn mein Kopf nicht mehr zur Ruhe kommt und ich schlecht schlafe, bin ich gestresst.
Wenn ich gestresst bin – wenn Frauen gestresst sind – erhöht sich ihr/mein Risiko für Depressionen. Genauer gesagt: Stress ist die Hauptursache für Depressionen bei Frauen.

Ich hab mehrere Jahre mühsam daran gearbeitet, mein Leben zurück zu bekommen. Und ich mag es und möchte es behalten.

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Darum mache ich keine „Nur so mal auf ein Bier gehen“-Termine mehr mit Leuten, die ich nicht als Freunde bezeichnen würde. Dass man mich deswegen übrigens als arrogant bezeichnet, stört mich nicht im geringsten.

Denn ich hätte nämlich gerne ein Leben außerhalb der Branche. Die „Branche“ ist nicht mein „Freund“, und auch nicht meine „Familie“. Es gibt naturgemäß Überschneidungen. Aber gar nicht so viele wie ich manchmal dachte.

Euch allen, die es bis hierher geschafft haben: Danke für die Aufmerksamkeit.
Und ein noch größeres Dankeschön für’s Nicht-Treffen! Bussis!

PS: Wer mit mir in Kontakt bleiben will: How about Social Networking? Möglicherweise genau der Grund, warum’s das überhaupt gibt …

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11 Kommentare zu „Gegen das Networking – oder: warum ich mein Leben zurück will.

  1. Ja. JA. In deiner Beschreibung versteckt sich eigentlich gut die Skizze der anderen Seite: die, die wirklich nervös wird, wenn sich plötzlich niemand für „gach auf ein Bier gehen“ findet, die denkt die Welt vergißt einen sofort, wenn man nicht jeden Geburtstagsgruß auf Facebook mit „let’s catch-up“ quittiert. Die schon depressiv werden, wenn sie einen Abend mal alleine daheim sitzen, weil niemand Zeit hat. Wo der Inhalt des Gespräch’s selbst weniger wichtig ist, als dass es mit möglichst vielen, und möglichst oft passiert.

    Diese Person macht mich halt (ähnlich wie dich, wenn ich es richtig verstehe, aber jeder tickt hier dann doch ein wenig anders) wiederum meist relativ nervös. Warum so viel Stress, um eh nix.

    Ich könnte einfach die (Facebook-) Tür (noch mehr) zu lassen. Aber so leicht is es echt nicht — zum Glück arbeite ich in keiner Agentur, aber selbstständig zu arbeiten ist wohl kaum besser — egal wo, der scheppernde Bass im Raum nervt undämpfbar mit, „du musst mehr netzwerken, du brauchst mehr Kontakte, nur über Kontakte läuft die Welt.“ — Jaja, XING mich in Ruhe.

    Manchmal passt’s eh, und ab und an kommen sogar richtig Freundschaften raus, aber meistens is es einfach nur viel Luft, mit wenig Gefühl. Meistens meistens.

    Wir sind eh alle nicht so lange hier, da is mir dann weniger, aber mit echtem Lachen doch lieber.

    1. Wir haben ja eh schon mal geredet:) Ja, es gibt Menschen, die einfach wahnsinnig gerne in Gesellschaft anderer entspannen – ich/wir hingegen hab nur wenige Menschen im Umfeld, neben denen ich entspannen kann. Und es ist ja nie nur eine Person oder auch zwei Personen, die gerne in Gesellschaft ihren Abend planen. Und daher ist die Anzahl der Abende, die eine Woche hat einfach zu gering für die Anzahl der Leute, die einen Abend davon mit Bier trinken etc. verbringen wollen. Weil am liebsten wäre es mir, nicht mehr als zwei Abende pro Woche außer Haus zu verbringen. defacto sind es derzeit drei bis fünf, früher waren es fünf bis sechs. Und irgendwie sind Abendtermine auch immer open end. Also vor Mitternacht selten aus. Von Alkohol red ich da noch gar nicht (schlafe ich dann noch schlechter). Das sollte einfach Freunden und guten Gesprächen vorbehalten sein—-

  2. du sprichts mir aus der Seele….danke für die Zusammenfassung meiner Situation!! Doch habe ich festgestellt, dass sich „mein Netzwerk“ auch ganz gut ohne mich erweitert, auch wenn ich die Menschen und Events meide, die mir Kraft rauben. Die erwähnten „Überschneidungen“ tun das für mich, die sind manchmal kommunikativer und kontaktfreudiger und erledigen das nebenbei für mich…
    geht leider nicht immer! Viel Freud noch am Leben wünsch ich dir… das ist das Wichtigste!!

    1. Das ist definitiv ein Punkt, den ich immer gehofft hatte, mal zu erreichen – aber dann doch irgendwie nicht genug Vertrauen hatte: dass das Netzwerk irgendwann mal groß genug ist, dass die Firma ohne „Bierabende“ funktioniert. Sehr cool, wenn dann der Moment da ist!!

  3. Man nennt das im Allgemeinen: „Hype der sinnlosen Zeitverschwendung mit Ahnungslosen“ == Netzwerken

    Folgen daraus: Nur ein früher Burnout für die 15 Minuten Ruhm der Anderen

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